Die neunte Sommerakademie der School of Philosophy ist Geschichte. Eine Geschichte allerdings, die gerne erzählt werden wird, barg sie doch ein paar wunderbare Erkenntnismomente und freundschaftliche Begegnungen. Sie führte uns Von David Hume und dem Tod der Metaphysik zu Martin Heidegger und der Frage nach dem Sinn von Sein:
David Hume, der über viele Jahre literarisch erfolglose und zu guter Letzt dann doch berühmt gewordene Schotte, ist anders als gemeinhin behauptet wird, kein Empirist im klassischen Sinn. Sein philosophisches Programm zielt nämlich nicht darauf ab, dem Apriori ein Aposteriori entgegenzustellen, sondern darauf, die wissenschaftliche Metaphysik von der Aberglauben-Metaphysik zu trennen und damit die theoretische Philosophie – das tiefe Nachdenken über letzte Fragen – zu rehabilitieren. Das ist auch der Grund, weshalb seine Philosophie nicht nur als Brücke zur Transzendentalphilosophie Immanuel Kants gilt, sondern gleichsam als dessen Vorwort gelesen werden kann. Zum ersten Mal, wenn auch in anderem Kleid, tritt der Gedanke des Transzendentalen auf, wird eine andere erkenntnislogische Perspektive artikuliert: Die Idee, dem philosophischen Rausch der Vernunft einen Augenblick lang zu entkommen, vom Bau eines nächsten gewaltigen Gebäudes abzusehen und die Vernunft selbst in den Fokus zu rücken; eine Vermessung des menschlichen Erkenntnisapparats im Hinblick auf die Erkennbarkeit metaphysischer Gegenstände. Und das Ergebnis dieser Humeschen Rauschunterbrechung? Alle Erkenntnis über Tatsachen und Dasein gründet in Erfahrung, denn nur in der Erfahrung werden wir uns seiner fundamentalen Beziehung gewahr: der Beziehung von Ursache und Wirkung, diesem unsichtbaren Band, das der Geist entlang des Gleichförmigkeitsprinzips der Natur selbst in sie hineinlegt, von dem einen beobachteten Ereignis zu einem anderen übergeht, einen Zusammenhang herstellt und unter Zuhilfenahme der Gewohnheit – das fehlende Mittelglied einer Ableitung aus Vernunft ersetzend –seine immer nur wahrscheinlich, aber niemals notwendig gewissen Schlüsse zieht. Tod der Metaphysik.
Vielleicht ist dieser Tod der Metaphysik bei Hume und der gescheiterte Wiederbelebungsversuch von Kant der Beginn einer Entwicklung, an deren Ende die Philosophie insgesamt eine blutleere Gestalt ist, ein Schatten ihrer selbst und der Grund dafür, weshalb sie Martin Heidegger, der bis heute nicht zuletzt ob seiner Nazi-Vergangenheit umstrittene deutsche Denker, 150 Jahre nach Humes Untersuchungen über den menschlichen Verstand in ›Sein und Zeit‹ wieder in Gang bringen will. In seiner phänomenologischen Fundamentalontologie unternimmt er nichts Geringeres als den Versuch, den Sinn des Seienden als solchem zu ergründen – die Seinsblindheit des Menschen zu überwinden, um dasjenige zu verstehen, das allem, was ist, voraus liegt. Ein schlechthin gewaltiges Vorhaben, das aber ein Torso bleiben wird. Was Heidegger – systematisch sauber – aufhellt, ist der Sinn von Dasein, das einzige, das ihm phänomenologisch gesehen unmittelbar zugänglich ist, die Krücke hin zum Sein, die er aber nicht mehr benützen wird. Wahrscheinlich der Grund dafür, dass man ihn fälschlicherweise als einen Existenzialisten sieht und seine Philosophie meist nur dahingehend deutet. Und das Ergebnis dieses den nachvollziehenden Geist durchaus zermürbenden Bauwerks? Die existenzial-ontologische Interpretation des faktischen Daseins hinsichtlich der Möglichkeiten des eigentlichen und uneigentlichen Existierens aus seinem Grunde offenbart den Seinssinn der Sorge als Zeitlichkeit und die Zeitlichkeit als ursprüngliche Struktur der Seinsganzheit des Daseins. Dennoch: Die Herausstellung dieser Seinsverfassung des Daseins bleibt nur ein Weg. Das Ziel desselben ist die Ausarbeitung der Seinsfrage überhaupt. Und obschon von Heidegger nicht mehr erreicht, so könnten wir uns – die Sommerakademie 2023 endgültig abschließend – erlauben, dieses Ziel mit den Worten Heideggers vorwegzunehmen: Die existenzial-ontologische Verfassung der Daseinsganzheit gründet in Zeitlichkeit. Demnach muss eine ursprüngliche Zeitigungsweise der Zeitlichkeit selbst den Entwurf von Sein ermöglichen. Und so führt der Weg von der ursprünglichen Zeit des Daseins zum Sinn des Seins und offenbart sich die Zeit selbst als der Horizont des Seins überhaupt. Sein ist Zeit – ist Augenblick – ist Ewigkeit.
Literatur:
Hume, David: Eine Untersuchung über den menschlichen Verstand, Meiner, Hamburg, 2005.
Heidegger, Martin: Sein und Zeit, Max Niemeyer Verlag, Tübingen, 2006.