VERTIEFUNG ⎪KLASSIKER UND IHRE HAUPTWERKE
Leibniz, Schopenhauer, Hume, Marx, Rawls, Nietzsche
Leibnizens logischer Gott und die beste aller möglichen Welten
Gottfried Wilhelm Leibniz, der letzte Universalgelehrte, behauptet doch allen Ernstes, dass die Welt, in der wir leben, die Beste aller möglichen sei. Er geht davon aus, dass ein logischer Gott unendlich viele Welten vollständig vorausdenkt und aus allen vollständig vorausgedachten Welten diejenige wählt und schöpft, die die Beste ist. Das hat ihm den beißenden Spott Voltaires und Schopenhauers eingebracht. Doch Leibnizens Philosophie ist dessen ungeachtet faszinierend: Die Fundamentalbausteine der besten Welt sind die sogenannten Monaden – Einzelwesen wie wir. Fensterlose, das Universum spiegelnde, metaphysische Punkte, deren gesamte Lebensgeschichte, inklusive der Lebensgeschichte aller Wesen, mit denen sie jemals etwas zu tun haben, von vornherein feststeht. Es ist so, als säßen wir von Geburt an in einem Kino, das weder Ein- noch Ausgang hat und wohnten einer lebenslangen Filmvorführung bei, ohne zu bemerken, dass wir zugleich die Hauptdarsteller des Films als auch seine Projektionsfläche sind. Das Werk eines Verrückten?
Schopenhauers Welt als Wille und Vorstellung
Arthur Schopenhauer gilt wie kaum ein anderer Philosoph als misanthropisch und pessimistisch. Seine Philosophie wirkt, oberflächlich betrachtet, depressiv und abstoßend. In seinem Hauptwerk ›Die Welt als Wille und Vorstellung‹ finden sich die zentralen Aspekte dieser vermeintlich düsteren Weltdeutung: Der blinde, vernunftlose Weltwille ist Urkraft und somit das Wesen der Welt. Die menschliche Vernunft ist nur eine Dienerin dieses irrationalen Weltwillens. Die Welt − als Schöpfung dieses Willens − ist die schlechteste, die es gibt. Die Fundamentalgründe allen Wollens sind Bedürftigkeit, Mangel und Schmerz, und der mächtigste Ausdruck dieses, man möchte sagen, hinterhältigen Willens, ist der nicht zu befriedigende Geschlechtstrieb. Alles Glück ist Illusion, alle Lust nur negativ. Doch wer die Oberfläche verlässt, dem zeigt sich eine Vorstellung des menschlichen In-der-Welt-Sein, die auf seltsame Weise erlösend wirkt: In der Kontemplation der Kunst und im Mitleid gegenüber den Geschöpfen sind wir dem blinden Willen ein Spiegel, in dem er seine Fratze erkennt und erschrickt, und in diesem Tausendstel einer Ewigkeit, dem Auseinanderbrechen von Diesseits und Jenseits ist unser Leben ruhig und frei. Mehr als ein Trost? Was glauben Sie?
Humes’ Lehre über das Prinzip der Gewohnheit
David Hume, der berühmte schottische Empirist, beendet den Rausch der Vernunft, der mit Descartes anhebt und mit Spinoza und Leibniz seinen Höhepunkt erlebt. Für ihn ist klar, dass es keine Erkenntnis jenseits der Erfahrung gibt. Weil aber alle Erkenntnis aus Erfahrung, so Hume, einzig und allein auf dem Satz von der Gleichförmigkeit der Natur beruht, stellt sich die Frage, woher wir diesen Satz haben. Vielmehr noch: Woher wissen wir, dass er wahr ist?
Marx’ Fundamentalkritik des Kapitalismus
Mit Karl Marx begegnet uns ein Philosoph, der bis heute höchst umstritten ist. Das liegt nicht selten daran, dass seine Philosophie schlicht und ergreifend nicht verstanden wird. Sein historischer Materialismus, der Hegel vom Kopf auf die Beine stellt, weil es nicht der Geist ist, der unser Dasein bestimmt, sondern weil es umgekehrt die materiellen Produktionsverhältnisse sind, die unseren Geist bestimmen, zeigt die Geschichte der Menschheit als eine Geschichte der Klassenkämpfe und der Revolutionen. In seiner radikalen Kapitalismuskritik offenbart sich warum: Die funktionale Grundstruktur des kapitalistischen Systems führt zu einem disjunkten Zerfall der Gesellschaft, und zwar in die Menge der Kapitalisten auf der einen Seite und die Menge der Arbeiter auf der anderen. Während im Reich der Kapitalisten Eigentum und Kapital kumulieren, kumulieren im Reich der Arbeiter Armut und Elend, und zwar solang, bis sich die Arbeiter, die Proletarier aller Länder vereinigen. Jetzt beginnt der letzte Umsturz. Er führt zu einer Welt freier Menschen, zu einer Gesellschaft, die den Gott des Gewinns überwunden hat und in der die Beziehung der Menschen zueinander erstmals als eine unmittelbare, unverstellte realisiert ist. Liegt Marx wirklich so falsch?
Rawls’ Theorie der Gerechtigkeit als Fairness
John Rawls gilt als einer der bedeutendsten Moralphilosophen des 20. Jahrhunderts. Er versteht die Gesellschaft als ein Unternehmen zum gegenseitigen Vorteil. Um es abzusichern, entwickelt er eine Fundamentaltheorie der Gerechtigkeit. Seine Prinzipien zur Verteilung der gesellschaftlichen Grundgüter sind einzigartig und sie implizieren zum ersten Mal in der Geschichte der Menschheit die Chance auf echte Fairness. Die Lösung aller Probleme?
Nietzsches Lehre vom Übermenschen und der ewigen Widerkunft des Gleichen
Friedrich Nietzsche, der Umwerter aller Werte, ist einer der Exzentriker der Philosophie des 19. Jahrhunderts. Mit seinem aphoristischen Denkstil erkundet er ganz neue philosophische Tiefen. Viele seiner hierfür gebrauchten Ausdrücke, wie ›Amor fati‹, ›der Übermensch‹, ›die ewige Wiederkunft des Gleichen‹, ›Gott ist tot‹ oder ›Du gehst zu Frauen? Vergiss die Peitsche nicht!‹ sind ins geistige Allgemeingut übergegangen – wenn auch oft falsch verwendet und grob missverstanden. Seine Philosophie ist durch die Konzeption des Übermenschen, der ewigen Wiederkunft, des Gleichen und des Willens zur Macht geprägt. Nietzsche forderte eine konsequente Umwandlung aller bestehenden Werte. In ›Also sprach Zarathustra‹, das vielen als sein Hauptwerk gilt, kulminiert seine gesamte Philosophie. Es ist nicht nur ein philosophisches, sondern auch ein lyrisches Werk, das im pathetischen Stil verfasst die Geschichte des Propheten Zarathustra erzählt. Diese fiktive Figur verkündet die Lehre vom Übermenschen. Der letzte Mensch bildet dabei den Gegenpol. Nicht zuletzt aufgrund der Tatsache, dass Nietzsches Schwester, zu der er zeitlebens eine problematische Beziehung pflegt, seinen Nachlass verfälscht, wird Nietzsches Lehre im Nationalsozialismus missbraucht und der Übermensch als biologisch überlegener Arier gedeutet. Heutige Nietzsche-KennerInnen werden nicht müde, darauf hinzuweisen, dass Nietzsche mit dem Übermenschen einen geistigen Zustand des Menschen adressiert, den es zu realisieren gilt, sodass der Mensch nach dem Verlust der Werte des Christentums nicht im Nihilismus versinkt. Was ist dran an Nietzsches Weltdeutung und was lernen wir daraus für unser heutiges Leben?